28.03.2015 Unterwegs in der „Gôgei“ (= Tübinger Unterstadt) - SAV-Dußlingen Wilkommen auf unserer Website

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28.03.2015 Unterwegs in der „Gôgei“ (= Tübinger Unterstadt)

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24 kulturinteressierte und heimatverbundene Albvereinsmitglieder trafen sich am Samstag, 28.3.2015, um 14.00 Uhr auf dem Dußlinger Bahnhof, um gemeinsam mit dem Zug nach Tübingen zu fahren. An der Treppe, die von der Platanenallee zur Neckarbrücke hochführt, gesellten sich noch weitere 7 Personen sowie unsere Stadtführerin Inge Schettler hinzu und vor der Postkartenkulisse Tübingens begann unsere interessante, humorvolle und kurzweilige Tour.
 
 
 
 
 
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Zuerst ging es über die „Palmer-Treppe“ (zuerst umstritten, mittlerweile akzeptiert und gerne genutzt) von der Mühlstraße hoch zum Pfleghof. Am oberen Ende der Treppe hatten wir einen guten Blick in Richtung Lustnauer Tor, wo lt. unserer kundigen Führung früher noch ein Schutzmann den Verkehr regelte. Passend dazu erzählte sie uns die Anekdote des Postmeisters, der zu der Zeit mit einem neuen Moped die Briefe ausfuhr und sein Gefährt noch nicht richtig in Griff hatte. So stürzte er mit dem Zweirad just auf der Kreuzung des Schutzmanns und verteilte die gesamte Post auf der Straße. Letzterer stoppte den Verkehr und half dem Briefverteiler, die Kuverts wieder einzusammeln und meinte: „Oh Karle, ganget eigentlich älle Dackel zur Post?“ Worauf der Angesprochene wohl erwiderte: „Noi, i ben d’r Letzschte, älle andere ganget jetzt zur Polizei.“
Anschließend begab sich die Gruppe vollends in die „Gôgei“ und legte einen weiteren Zwischenstopp neben dem seit dem 11. Jahrhundert bestehenden Ammerkanal beim Nonnenhaus Nr. 7 ein. Hier führt vom äußeren Treppenaufgang im ersten Stock ein Übergang zum sogenannten „Sprachhaus“, dem mittelalterlichen Abortkerker direkt über dem Ammerkanal – wobei sich nun jeder denken kann, wie der Abtransport der Fäkalien zu der Zeit gehandhabt wurde. Daher flutete man auch einmal pro Woche das Gewässer, damit der Dreck durchs Stadttor hinausgefegt werden konnte.
 
 
 
Wer kein „Sprachhaus“ besaß, durfte seine Notdurft im „Winkel“ entleeren, einem meist sehr schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern. Damit dort nicht alles liegen blieb, gab es den damals sehr ehrbaren Beruf des Winkelreinigers, welcher diesen Schmutz entfernte und aufgrund des angesehenen Berufsstandes auch innerhalb der Stadtmauern wohnen durfte. Frau Schettler betonte mehrmals, dass die Unterstadt früher der Wohnsitz für das niedere Volk war und man oft knöcheltief im Schmutz waten musste. So behalfen sich die Damen damals mit „High Heels“ in Form von Holzklötzen, die sie unter die Schuhe banden, um die Rocksäume nicht zu verunreinigen.
Auch wohnte im vorgenannten Nonnenhaus Nr. 7 ab 1535 der Medizinprofessor Leonhard Fuchs, welcher daneben einen Kräutergarten – den ersten botanischen Garten Tübingens – anlegte. Hier experimentierte er damals mit Heilpflanzen, die „Fuchsie“ wurde nach ihm benannt und er veröffentlichte 1542 ein illustriertes Pflanzenbuch, an welches das steinerne Buch vor dem Nonnenhaus erinnert.
 
Nach dem Stopp am Nonnenhaus führte uns Frau Schettler weiter durch die Lange Gasse zur Bachgasse. Dort machte sie uns auf die in diesem Viertel nicht unterkellerten Häuser und einige mit Holztüren versperrte „Winkel“ aufmerksam. Zudem berichtete sie, dass in den verhältnismäßig kleinen Wohnungen früher oft zwei bis drei Familien auf engstem Raum zusammenlebten. Weiter ging es vorbei an der Fruchtschranne, in der früher u.a. das Getreide des Herzogs gelagert wurde, welcher im Übrigen auch im Tübinger Schloss das größte, jemals befüllte Weinfass mit 84.000 l besaß. Leider wurde es bereits beim zweiten Befüllen undicht, was den Herzog damals so erzürnte, dass er den Küfer dafür köpfen ließ.
Durch das Karrengäßle erreichten wir die Jakobuskirche, in deren Umfeld noch einige ältere Handwerksbetriebe, so z.B. eine Autosattlerei, vorhanden sind. Von dort liefen wir weiter zum Mordiogäßle, wo sich vor vielen Jahren Tübingens erste Besenwirtschaft ansiedeln durfte. 
 
 
Nachdem in der dahinterliegenden Seelhausgasse eine Bierbrauerei war, drang der Geräuschpegel der betrunkenen Bürger in früheren Zeiten sogar bis zum Schloss hoch, so dass der Herzog auf dem Schloss stöhnte: „Die mit ihrem Zeter- und Mordiogeschrei…“, dieser Ausspruch soll anscheinend den Namen „Mordiogäßle“ hervorgebracht haben. 
 
Geschlossen marschierten wir durch die Urbangasse zur Ammergasse (bis ins 19. Jhd. „Gerbergasse“, da viele Gerber in dieser Straße wohnten). Nachdem es damals in diesem Viertel keine Brunnen gab, wurde das Wasser aus der stark verschmutzten Ammer geholt und u.a. auch zum Kochen verwendet. Auch der ehemalige Stuttgarter Bürgermeister Rommel wohnte hier eine Zeitlang und soll damals nach Hause geschrieben haben: „Ich bin hier in ein fortschrittliches Haus gezogen mit fließendem Wasser - vor der Haustür…“ 
 
Anschließend ging es weiter in  Tübingens älteste Ecke, die Judengasse, welche auch als das „Süße Löchle“ bekannt ist. Es wird spekuliert, dass dieser Name entweder durch den Duft der Gewürze von Gewürzhändlern oder dem damals dort wohnenden Juden „Süßlin“ zustande kam. Außerdem wusste Frau Schettler auch zu berichten, dass hier die Gebäude wieder unterkellert sind und die „Judengasse“ im Zweiten Weltkrieg auch eine Weile in „Schotteigasse“ umbenannt wurde, was aber nicht lange vorhielt.
 
 
Nach diesem spannenden Ausflug durch die „Gôgei“ ging es vollends hoch in die Haaggasse, wo es abschließend  Wein und Brezeln in Frau Schettlers uriger Weinstube „Mayerhöfle“ gab und wir bis zur Heimfahrt mit dem Zug noch eine Zeitlang gemütlich beisammen saßen.
 
 
 
 
Ein herzliches Dankeschön an Gabi Sindek und Heidrun Maier, die diese schöne Stadtführung sowie den netten Abschluss für uns geplant und organisiert haben, wir waren alle begeistert!
                                                                  
 
 
 
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